Kindermord in der Ackerstraße

Eingang von Meyers Hof, Ackerstraße 132/133

9. Juni 1904

Die Acker­straße im Wedding (heute: Gesund­brunnen) war Anfang des vergan­genen Jahr­hun­derts eine berühmte und berüch­tigte Gegend. Vor allem arme Arbeiter, Tage­löhner, Arbeits­lose und Prosti­tu­ierte wohnten in den Miets­ka­sernen, die bis zu sechs Hinter­höfe hatten. Oft mussten ganz Fami­lien in einem Zimmer leben, Wasser und Toiletten gab es oft nur auf dem Hof. In einem dieser Häuser wohnte auch die 8‑jährige Lucie Berlin mit ihren Geschwis­tern. Ihre Eltern lebten davon, in der Stube Zigarren zusam­men­zu­rollen.

Am 9. Juni 1904 verschwand das Mädchen im Trep­pen­haus spurlos. Zwei Tage später fanden Fischer in der Spree den Rumpf des Mädchens. Bei der Befra­gung der Nach­barn kam schnell Theodor Berger, der vorbe­strafte Zuhälter einer Frau ins Visier der Polizei, der gesehen wurde, wie er mit einem Mädchen an der Hand das Haus verlassen hatte. Die Frau wohnte im glei­chen Haus, wie die Familie.

In den folgenden Tagen fanden sich auch der Kopf und die rest­li­chen Körper­teile des Mädchens in der Spree. Der verdäch­tige Mann machte mehr­mals sich wider­spre­chende Aussagen, zahl­reiche Indi­zien spra­chen für ihn als Mörder. In der Presse, die jeden Schritt der Polizei sowie den Prozess teil­weise seiten­weise doku­men­tierte, wurden Forde­rungen nach der Todes­strafe gestellt. Am 23. Dezember 1904 wurde Berger wegen Verge­wal­ti­gung und Totschlags zu 15 Jahren Zucht­haus verur­teilt.

Lucie Berlin wurde auf dem St. Elisa­beth-Friedhof beer­digt, eben­falls in der Acker­straße, nicht weit entfernt von ihrer Wohnung. Der Trau­erzug mit offenem Leichen­wagen und einer voran­schrei­tenden Musik­ka­pelle zog vom Gerichts­me­di­zi­ni­schen Institut in der Hanno­ver­schen Straße zum Friedhof, rund 1.000 Menschen nahmen daran teil.

Der Mord­fall der kleinen Lucie ist nicht nur bemer­kens­wert, weil er viele Menschen und Medien in Berlin sehr beschäf­tigte. Im Prozess wurde auch das erste Mal in einem Krimi­nal­fall in Berlin die Bestim­mung von gefun­denem Blut berück­sich­tigt. Zwar konnte noch nicht die Blut­gruppe bestimmt werden, aber es wurde fest­ge­stellt, dass es sich um mensch­li­ches Blut handelt. Der Täter hatte behauptet, es wäre Blut von einem Tier.