Festnahme des „Feuerteufels“ André H.

21. Oktober 2011

Im Sommer 2011 gab es in Berlin eine beson­ders massive Häufung von Brand­an­schlägen auf Autos. Die Serie begann Anfang Juni und endete Ende August. In der Presse nannte man den Täter bald den „Feuer­teufel“. Da es keine Beken­ner­schreiben gab, ging die Polizei nicht davon aus, dass es sich um Aktionen von Auto­nomen handelte. Am 21. Oktober wurde dann der damals 27-jährige André H. fest­ge­nommen, kurz darauf legte er ein Geständnis ab. Für seine Taten verur­teilte ihn das Gericht 2012 zu sieben Jahren Haft.

Inter­view mit André H. nach seiner Frei­las­sung 2018:

Für seine Taten verur­teilte das Gericht André H. zu sieben Jahren Haft, die im Oktober 2018 vorbei waren. Bereits im März wurde er aber auf Bewäh­rung entlassen. Ich habe nach seiner Frei­las­sung mit ihm ein Gespräch über seine Taten geführt.

Wieviel Autos hast du denn damals ange­zündet?

Eigent­lich waren es 102, aber dann gab es noch den Kolla­te­ral­schaden, was noch mitbe­schä­digt wurde. Da kommt man dann auf eine Gesamt­zahl von unge­fähr 140.

Die große Frage natür­lich: Warum hast du das gemacht?

Tja, warum. Es ging schon darum, teure Fahr­zeuge zu treffen, von Fahrern, die Besser­ver­diener sind. Ich hatte mich damals schon eine Weile damit ausein­an­der­ge­setzt, über Medien und im Internet. Links­extre­mismus zum Teil, 1. Mai, das war so ein biss­chen Vorbild.
Es gab damals auch eine Bericht­erstat­tung, wie man ein Auto richtig anzünden kann, damit man es nicht mehr löschen kann.

Aber sich dafür zu inter­es­sieren und dann den Schritt hin zum Selber­ma­chen ist ja schon ein Unter­schied.

Am Anfang war das wahr­schein­lich mehr ein Auspro­bieren. Ich wusste ja, dass man dafür auch in den Knast gehen kann. Es war dann später so ein Kräf­te­messen mit der Polizei, die zeit­weise auch mit Hubschrauber unter­wegs war nachts. Zuerst bei mir in der Gegend haben sie sehr viel aufge­fahren und deshalb habe ich das dann verlegt in andere Bezirke im West­teil Berlins.

Der Grund war also, den Besser­ver­die­nenden eins rein­zu­würgen? Aber in der Regel verdienen die ja so gut, dass sie das Auto von der Versi­che­rung ersetzt kriegen.

Ja klar. Ich habe dann später in den Akten auch gelesen, dass es manchmal geleaste Fahr­zeuge waren oder Firmen­autos, die denen nicht mal gehört haben. Es waren auch mal Autos vom Ordnungsamt dabei, in der Fran­k­lin­straße in Char­lot­ten­burg.
Wenn ich gehört habe, wessen Autos verbrannt sind, Bank­ma­nager und so, das ist mir schon am Arsch vorbei gegangen. Gegen Ende habe ich aber auch anderes gelesen, zum Beispiel von einem Bundes­wehr-Zeit­sol­daten, der lange für sein Autos sparen musste. Das hat mir dann schon leid­getan

Erin­nerst du dich noch, als du das erste Auto ange­zündet hast?

Ja, ein Audi Q5, nicht weit von meiner Wohnung entfernt in Moabit. Ich habe dann in der Nähe gewartet, hab den Schein gesehen, dass es gefla­ckert hat und dann das Bersten der Scheiben und der Reifen. Dann kam die Feuer­wehr und ich bin weg.

Über hundert Autos in drei Monaten, das bedeutet ja, mindes­tens ein Auto in jeder Nacht.

Ja. Es gab auch manchmal eine Nacht, in der dann nichts war, dafür in der Spitze auch mal zehn, zwölf Autos in einer Nacht.

Das hört sich schon wie ein Sucht­ver­halten an.

Ja, kann man schon sagen, der Kick ist viel­leicht wirk­lich wie so ein Sucht­ver­halten. Ist viel­leicht ein blöder Vergleich, aber einer der mit 200 km/​h durch Berlin rast, muss ja auch ein Gefallen daran finden. Oder einer, den ich in der Haft­zeit kennen­ge­lernt habe, der hat Bank­über­fälle gemacht. Da ist es auch nicht bei ein, zwei geblieben, sondern am Ende waren es schon 20. Das hat ihn dann für 14 Jahre hinter Gitter gebracht.
Ich habe immer gedacht, es geht gut. Es ist dunkel, man kann mich nicht erwi­schen, sie können ja nicht alles über­wa­chen. Klar kann es mal dumme Zufälle geben, aber das habe ich gut verdrängt.
Erst im Laufe der Zeit hab ich gesehen, was die Polizei macht, was für Maßnahmen da ergriffen werden. Einmal wurden ganz nahe auch mal zwei Tatver­däch­tige fest­ge­nommen, am S‑Bahnhof Bellevue, mindes­tens einer von beiden hatte auch Kontakte zu Links­ra­di­kalen. Die hatten in der glei­chen Nacht als ich unter­wegs war, zehn Autos ange­zündet, darunter auch ein Porsche, und haben das noch gefilmt. Die Polizei war mit mehreren Hundert­schaften unter­wegs, Hubschrauber, und die haben sie dann geschnappt. Eine Frau hatte die beob­achtet und die Polizei infor­miert.
Einmal hatte ich das auch, ganz in der Nähe. Ich hatte das mit dem Autos schon gemacht, da hörte ich von irgend­einem Balkon so ein Klicken und habe mich erstmal versteckt. Dann kamen auch schon zwei Strei­fen­wagen an. Aber ich konnte noch abhauen. Auch einmal in Steglitz, da war die Polizei ganz schnell da und ich konnte gerade noch weg, am Tita­nia­pa­last vorbei. Ich dachte: „Ups, jetzt aber schnell weg hier.“

Hast du die Poli­zei­ak­ti­vi­täten verfolgt?

Ja, ich habe schon mitbe­kommen, wenn sie unter­wegs sind. Nicht nur mit Blau­licht und Sirene, zivil auch. Teil­weise bin ich ja schon vor ihren Augen aus dem Haus gekommen.

Was hast du gemacht, nachdem es die ersten Male gut geklappt hat? Wie lange sollte das gehen, bis zu einem bestimmten Punkt?

Erstmal hatte ich Gefallen daran gefunden, weil Berlin ja so unend­lich groß ist und ich so viele Möglich­keiten dazu habe. Ich habe dann die Orte verla­gert, den Radius nach Neukölln, Kreuz­berg, Lich­ter­felde und so erwei­tert.
Erst später habe ich dann bei zwei, drei Fällen aus der Presse erfahren, dass es doch eine sehr knappe Sache sein kann und ich eigent­lich aufhören muss. Zum Beispiel, weil auch Häuser gefährdet werden könnten. Wenn dann da eine Gaskar­tu­sche auf nem Balkon hoch geht, könnten Menschen schwer verletzt werden. Aber bei allen meinen Anschlägen wurde zum Glück niemand verletzt. Nach fast drei Monaten habe ich auch tatsäch­lich aufge­hört.
Zwei, drei Tage später ging dann eine größere Obser­va­ti­ons­maß­nahme los durch die Soko Feuer­schein, die dann gegründet wurde. LKA, Bundes­po­lizei, Staats­schutz wurden zusam­men­ge­zogen, auch aus mehreren anderen Bundes­län­dern. Und die haben dann 650 Beamte, haupt­säch­lich in Mitte/​Tiergarten rein­ge­schickt, um Ausschau zu halten. Aber zu spät.

Trotzdem sind sie dann aber auf dich gestoßen.

Ende August, als ich eigent­lich schon aufge­hört hatte und einfach nur so unter­wegs war in Tier­garten, habe ich plötz­lich eine Obser­va­tion bemerkt. Ich kann mich noch gut erin­nern, wie zwei Bundes­po­li­zisten einge­stiegen sind in den BVG-Bus und sechs bis acht Zivil­fahr­zeuge den Bus verfolgt haben.
Anschei­nend haben sie mich vorher zufällig entdeckt und an meinem Gang erkannt. Vorher gab es nur ein paar Video­auf­nahmen vom U‑Bahnhof Hasel­horst und man muss schon ein sehr gut geschultes Auge haben, um mich dann am Gang zu erkennen.

Sie haben dich gefilmt, als du am U‑Bahnhof ankamst und eine Weile später wieder wegge­fahren bist. Und in der Zwischen­zeit wurde dort ein Auto ange­zündet. So sind sie wohl auf dich aufmerksam geworden.

Ja, so kam das erstmal ins Rollen. Die Obser­va­tion ging etwa zwei Monate. Die Aufnahmen vom Bahnhof wurden danach an die Fahr­zeuge der Soko verteilt, nach dieser Person sei Ausschau zu halten, so haben sie es mir später beim LKA erzählt. Also ab Ende August waren sie an mir dran.

Wie hast du reagiert?

Panik hatte ich nicht, aber es hat mich schon ange­kotzt, weil ich auch nicht wusste, was passiert jetzt. Am nächsten Morgen waren sie wieder weg, aber bei Einbruch der Dunkel­heit standen sie wieder da, vor meinem Haus. Ich habe dann versucht, mich so normal wie möglich zu verhalten, nichts anmerken zu lassen, habe Freunde besucht, meine Mutter und das Gemein­de­haus. Ich dachte, wenn ich das so weiter­mache, verlieren sie irgend­wann die Lust und brechen das ab. Letzt­lich war es genau das Gegen­teil, sie haben ange­fangen, mich 24 Stunden zu über­wa­chen. Das ging dann wieder wochen­lang. Die Polizei hat versucht raus­zu­kriegen, ob ich die Obser­va­tion bemerkt haben könnte, natür­lich habe ich das bemerkt. Sie haben sich manchmal sehr dusselig ange­stellt, das haben sie später auch in der Verneh­mung gesagt. Viel zu auffällig, viel zu nah dran und so. Hinter einer Säule verste­cken, im Auto flach hinlegen, das habe ich ja mehr­mals mitge­kriegt.

Es gab in dieser Zeit ja dann auch keine Brand­an­schläge mehr.

Genau, das hatte abrupt aufge­hört. Sie haben die Obser­va­tion dann sehr inten­si­viert. Als ich damals mal mit dem Fahrrad am Schlach­tensee unter­wegs war, habe ich ein Handy gefunden und jemand ist mit seinem Fahrrad wegge­fahren. Es sah so aus, als wenn es dort plat­ziert worden wäre. Viel­leicht war das irgendwie präpa­riert. Ich habe das Handy aber zum nächsten Poli­zei­ab­schnitt nach Niko­lassee gebracht und abge­geben. Die haben sich dann noch bedankt, es ist schön, dass es noch Bürger gibt, die so ehrlich sind.
Als ich rauskam standen plötz­lich die anderen Fahr­zeuge von der Soko da, die die Wache beob­achtet haben, weil ich da rein­ge­gangen bin. Kaum bin ich wegge­fahren, ist einer von denen dann da rein­ge­laufen.

Es ist ja schwer, mit Autos ein Fahrrad zu obser­vieren.

Nach unge­fähr einem Monat sind sie auch auf Fahr­räder umge­stiegen. Ich bin dann aber relativ weit gefahren, Grune­wald, in den Forst rein. Habe gedacht, denen werde ich es jetzt aber richtig zeigen, was hier Sport ist. So lief das eine Weile noch.
Einmal habe ich auch einen direkt ange­spro­chen, ob er mir mal einen Hunderter wech­seln könnte. Das war ein Hamburger, es waren immer noch Beamte aus anderen Bundes­län­dern betei­ligt. Der war dann ganz verdat­tert und weg war er.

Und dann kam der Tag der Fest­nahme.

Ja, sie haben früh morgens Sturm geklin­gelt, meine Mutter hat denen aufge­macht. Dann wurde die ganze Wohnung durch­sucht und sie sind auch noch in den Keller. Ich glaube da hatten sie vorher schon eine Kamera instal­liert, die sie nun wieder raus­holen wollten.
Dann haben sie mich zum Tempel­hofer Damm zum Verhör gefahren, beim LKA, Staats­schutz. Am Anfang habe ich noch gedacht, dass ich mich da irgendwie raus­reden kann, aber das klappte natür­lich nicht. Zumal sie unter einem enormen Druck standen.

Glaubst du, sie waren sich zu diesem Zeit­punkt sicher, dass sie den Rich­tigen hatten?

So teils, teils, viel­leicht zu 50 Prozent. Aber ich habe mir schon gedacht, dass sie sich relativ sicher sind. Als sie mir dann die große Karte gezeigt haben, wo alle Brände einge­zeichnet waren, war mir schon klar, dass ich da nicht mehr raus komme. Am ersten Tag war das Verhör dann acht oder zehn Stunden.
Es wurden dann anhand von Listen alle einzelnen Fälle aufge­rollt, fast wie im Erdkunde-Unter­richt in der Schule, nur mit so kleinen, gelben Flammen auf der Karte. Da hab ich gedacht: „Ach du Scheiße, da warste doch ganz schön viel unter­wegs.“
Ich habe dann alles zuge­geben. Sie haben sehr viel wissen wollen, zum Beispiel, wie ich die Tatorte erreicht habe. Meis­tens zu Fuß oder mit dem Fahrrad, manchmal auch mit den Öffent­li­chen. Dabei haben sie mich ja dann auch gefilmt.
Die Verneh­mungen haben insge­samt unge­fähr einen Monat gedauert. Wir sind auch noch zwei- oder dreimal zu einigen Tatorten hinge­fahren, nachts mit dem Poli­zei­wagen, teil­weise bis nach Staaken raus und nach Lich­ten­rade. Auch zu Orten, wo ich es gar nicht gewesen bin.

Ich habe später gelesen, sie hätten dir die Taten gar nicht nach­weisen können, wenn du kein Geständnis abge­legt hättest.

Ja, der Gerichts­spre­cher hat das im Fern­sehen gesagt. Aber dann hätten sie mich irgend­wann mal gekriegt, falls ich doch wieder ange­fangen hätte.

Der Prozess war dann relativ kurz.

Genau, vier Verhand­lungs­tage. Die Verle­sung der Anklage hat eine halbe Stunde gedauert weil der Staats­an­walt noch alle Adressen vorge­lesen hat, wo ich was gemacht hatte. Er hat dann acht Jahre gefor­dert, schließ­lich sind es sieben geworden.

Wurde dort auch der entstan­dene Schaden ermit­telt?

Es wurde gesagt, 1,2 Millionen Euro. Es ist aber so, dass man die entstan­denen Polizei- und Feuer­wehr­ein­sätze auch noch rechnen muss und das liegt im zwei­stel­ligen Millio­nen­be­reich. 650 Beamte aus mehreren Bundes­län­dern, über Tage. Dazu die Hubschrau­ber­ein­sätze, das ist alles wesent­lich mehr, als der eigent­liche Sach­schaden.