30. November 1868, 13. Dezember 1896
Der Berliner Asylverein für Obdachlose wurde 1868 im Wedding gegründet und bestand mehr als 100 Jahre bis 1976. Sein wichtigstes Projekt war eine Unterkunft für obdachlose Männer in der Wiesenstraße im heutigen Ortsteil Gesundbrunnen. Anders als bei anderen, christlichen Projekten wurde hier mehr Wert auf Hygiene als auf Missionierung gelegt und das Heim galt für seine Zeit als fortschrittlich und revolutionär.
Während Obdachlose im 19. Jahrhundert oft als Kriminelle behandelt wurden, hat der aus der Bürgerschaft gegründete Verein eine soziale gesellschaftliche Verpflichtung gegenüber diesen Menschen erkannt. Dem Verein gehörten bekannte Vertreter der Gesellschaft und Industrie an, wie die Unternehmer August Albert Borsig und Paul Singer, der Arzt Rudolf Virchow oder der Stadtverordnetenvorsteher Friedrich Kochhann. Die Statuten sahen unter anderem auch die Anwesenheit der Vereinsmitglieder bei der täglichen Arbeit vor. Der Verein wurde vor allem von liberalen Berliner Juden getragen.
Im Winter 1896 konnte das Asyl in der Wiesenstraße öffnen, für das sich nach dem Standort der Name Wiesenburg einbürgerte. Hier konnten 700 Männer übernachten, 1906 folgte ein Anbau mit 400 Schlafplätzen für Frauen. In der Wiesenburg gab die Möglichkeit zum Duschen und Baden, zum Waschen der Kleider und eine Bibliothek. Fast alle Räume verfügten über elektrisches Licht und fließendes Wasser und waren mit leicht zu reinigenden Terrazzofußböden versehen. Neben der Unterkunft wurde auch täglich eine warme Mahlzeit ausgegeben.
Anders als in vergleichbaren Obdachlosenheimen gab in der Wiesenburg weder einen Arbeitszwang noch die Verpflichtung, an Gebeten teilzunehmen. Auch galt das Prinzip der Anonymität. Bis 1910 hatte die Polizei kein Zutrittsrecht im Asyl.
Mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde das Gebäude teilweise für militärische Zwecke genutzt. Ab 1924 wurden hier Vergaser für Motorräder und Flugzeuge hergestellt. Von 1926 bis 1933 betrieb die Jüdische Gemeinde die noch als Obdachlosenasyl betriebenen Teile der Wiesenburg. Die Nationalsozialisten schlossen das Heim und nutzten die Räume für die Produktion von Rüstungsgütern. Im Keller waren später auch Zwangsarbeiter eingesperrt.
Ein Großteil der Wiesenburg ist im Krieg schwer beschädigt oder zerstört worden. In den 1950ern siedelten sich verschiedene Kleingewerbe auf dem Gelände und den Ruinen an, ausgebombte Familien nutzten die erhaltenen Gebäude als Wohnraum. Viele Jahre stand der verbliebene Komplex inklusive der Ruinen leer. In der Zeit hielt er als Kulisse in Kinofilmen wie Die Blechtrommel, Ein Mann will nach oben oder Lili Marleen.
In den 1980er Jahren entdeckten KünstlerInnen den Ort für sich und nahmen ihn in Beschlag. Seit 2015 wird das Gelände und die Gebäude nun von der degewo verwaltet.
Foto: Neuköllner / CC BY-SA 4.0