Räumung der Mainzer Straße

Wasserwerfer in der Mainzer Straße

12. November 1990, 14. November 1990

Die Bilder, die Mitte November 1990 welt­weit in den Fern­se­hern zu sehen waren, erin­nerten an Krieg. Und dabei war es einfach der verzwei­felte Versuch einige hundert Auto­nomer, ihr besetztes Terrain zu vertei­digen. Und das schafften sie auch – für kurze Zeit und mit viel Gewalt.

Begonnen hatte es kurz nach der Wende in der DDR. Auch im Stadt­viertel Fried­richs­hain gab es etliche leer­ste­hende Wohnungen, oder wie in der Mainzer Straße sogar halb leere Stra­ßen­züge. Und es gab junge Menschen, die nicht mehr bei den Eltern leben wollten, sondern in einer eigenen Bude. Nach der Öffnung der Grenze kamen auch Links­ra­di­kale aus West-Berlin zuhauf nach Fried­richs­hain, um hier ihre Politik fort­zu­führen, die bereits in Kreuz­berg geschei­tert war: Den Staat mit Gewalt heraus­zu­for­dern und rechts­freie Räume mili­tant zu erkämpfen.

In Fried­richs­hain entstand aber eine offen­sive auto­nome Struktur, die sich haupt­säch­lich auf die Mainzer Straße konzen­trierte. Hier wurden im Früh­jahr 1990 elf leer­ste­hende Wohn­häuser besetzt, ein ganzer Stra­ßenzug, davon acht Häuser auf einer Seite, die alle in einer Reihe standen und mitein­ander verbunden waren. Es waren nicht ausschließ­lich Auto­nome aus dem Westen in den Häusern, aber sie hatten das Sagen.
Anfang November 1990 zeich­nete sich ab, dass Poli­zei­prä­si­dent Schertz die Situa­tion beenden wollte. Er nannte die 13 Häuser in der Mainzer Straße das Zentrum der Gewalt, wenn­gleich es zu diesem Zeit­punkt in Fried­richs­hain, Lich­ten­berg und dem Prenz­lauer Berg noch ca. 40 weitere besetzte Häuser gab.

Als am Morgen des 12. November dann die Nach­richt kam, dass in Lich­ten­berg und Prenz­lauer Berg gerade zwei Häuser von der Polizei geräumt würden, witterten viele in der Mainzer Straße einen Trick der Polizei: Nicht zu Unrecht speku­lierten sie darauf, dass die Polizei möglichst viele Unter­stützer aus der Straße zu den Haus­räu­mungen locken wolle, um dann in Ruhe in der Mainzer Straße zuschlagen zu können.
Statt­dessen aber gab es eine Reak­tion vor der eigenen Haustür: Die Mainzer Straße wurde an beiden Enden blockiert, Baucon­tainer und quer­ge­stellte PKWs waren die ersten Barri­kaden.
Gegen 12 Uhr mittags rückte die Polizei mit Wasser­wer­fern, Räum­pan­zern und einige hundert Mann an, um die Mainzer Straße zu stürmen. Sie waren aber nicht auf die heftige Gegen­wehr gefasst: Aus etli­chen Fens­tern wurde mit Kata­pulten geschossen, ein Stein­hagel pras­selte auf sie nieder, die Beamten mussten zurück­ge­zogen werden, schon zu diesem Zeit­punkt gab es mehrere Verletzte, vor allem auf Seiten der Polizei.

Während die Polizei sich sammelte und Unter­stüt­zung aus anderen Bundes­län­dern anfor­derte, wurde die Straße voll­ends dicht gemacht. Durch die vielen Baustellen in der unmit­tel­baren Umge­bung war sofort viel Mate­rial zum Barri­ka­denbau vorhanden. In der Mainzer Straße selbst stand ein Schau­fel­rad­bagger, der aufge­bro­chen wurde. Damit wurden nun an beiden Enden quer zur Straße Gräben ausge­hoben, um ein Durch­bre­chen der Poli­zei­panzer zu verhin­dern.

Immer und immer wieder versuchte die Polizei in die Straße einzu­dringen. Teil­weise mit massivem Tränen­gas­ein­satz, mit Rammen, die auf Bagger geschweißt waren und natür­lich mit ihren Panzern. Sie schossen hilflos mit ihren Wasser­wer­fern über die Barri­kaden, aber sie schafften es einfach nicht durch­zu­bre­chen. Zwischen­durch gab es immer wieder Ausbrüche von Gruppen aus der Straße, die mit Steinen und Molotow-Cock­tails auf die Polizei losgingen. Nachts um 3 Uhr zog sich die Polizei endgültig zurück, sie hatte es in 15 Stunden Kampf nicht geschafft, die Straße zu stürmen, ganz zu schweigen davon, die Häuser zu räumen. Es waren die bis dahin schwersten Stra­ßen­schlachten in Berlin seit Jahr­zehnten.
Der nächste Tag war davon geprägt, dass poli­ti­sche Kreise zu vermit­teln versuchten. Vor allem Funk­tio­näre der Alter­na­tiven Liste (heute: Die Grünen), die immerhin mit der SPD den Senat bildeten, wollten sowohl die Polizei, als auch die mili­tanten Haus­be­setzer von einer weiteren Eska­la­tion abhalten.

Am 14. November gegen 6.30 Uhr stürmten insge­samt 3.000 Poli­zisten gegen die Straße. Auch auf den Dächern sah man die ersten SEK’ler, sie versuchten die Häuser von oben zu öffnen.
Die Schlacht um die Straße dauerte etwa zwei Stunden. Die Luft war voll Tränengas und flie­genden Steinen, aus den Häusern flog alles, was beweg­lich war, heraus. Selbst Balken, Gehweg­platten und Gully­de­ckel wurden auf die Beamten herun­ter­ge­worfen, ihr Tod wurde einfach in Kauf genommen. Hunderte Liter Benzin wurden entzündet, Stahl­ge­schosse auf die Polizei geschossen. Auf einem Dach kam es zum direkten Kampf zwischen Poli­zisten und Haus­be­set­zern, glück­li­cher­weise stürzte niemand herunter.

Es hatte im Vorfeld die Absprache gegeben, dass die Vertei­di­gung der Häuser beendet wird, wenn die Polizei die gesamte Straße unter Kontrolle hat. Die Besetzer sollten dann versu­chen, über die Höfe und den Friedhof zu flüchten.
Als es gegen 9 Uhr soweit war, kam die Rache der Polizei: Dieje­nigen, die nicht mehr raus­ge­kommen sind, wurden zusam­men­ge­schlagen und teil­weise wie im Blut­rausch miss­han­delt. In einem Haus zwangen die Poli­zisten jemanden, aus dem 2. Stock in den Hof zu springen, andere wurden bis zu einer Stunde in ihrem Blut liegen­ge­lassen, bevor sie ins Kran­ken­haus kamen.

Die Räumung der 13 Häuser in der Mainzer Straße war ein Symbol, so wie es zuvor ein 3/​4 Jahr lang ihre Beset­zung war. Polizei und Innen­senat setzten sich durch, die rot-grüne Koali­tion zerbrach daran, weitere Haus­be­set­zungen wurden danach nicht mehr tole­riert. Mehrere Menschen (auf beiden Seiten) werden als Folge der Gewalt ihr Leben lang behin­dert sein.