Die toten Kinder von der Spree

Cengaver Katrancı starb 1972 am Groebenufer

13. September 1966, 30. Oktober 1972, 14. Mai 1973, 15. Juni 1974, 11. Mai 1975

Zwischen Kreuz­berg und Fried­richs­hain gehörte die Spree auf der vollen Breite zu Ost-Berlin, das Kreuz­berger Ufer jedoch zum Westen. Kurz vor der Ober­baum­brücke hatte sich vor der Teilung Berlins eine Anle­ge­stelle für Ausflugs­dampfer befunden, dort führten ein paar Stufen zu einer Platt­form auf dem Niveau der Wasser­ober­fläche hinunter. Obwohl der Abgang mit einer Stange gesperrt war, kam man leicht dort runter. Erst recht als Kind. Und es war ja auch span­nend, so direkt ans Wasser zu können, denn gegen­über sah man die Boote der DDR-Grenz­po­lizei. Leider bezahlten mehrere Kinder dieses Erlebnis mit ihrem Leben.

Vor allem, wenn es geregnet hatte, war die Platt­form sehr rutschig. Aber auch sonst war das Ufer gefähr­lich, teil­weise war die Kaimauer im Krieg beschä­digt und immer wieder mal brachen ganze Stücke heraus.
Fünf Kinder fielen zwischen 1972 und 1976 am Groe­ben­ufer (heute: May-Ayim-Ufer) ins Wasser der Spree. Passanten, Polizei und die Feuer­wehr durften sie jedoch nicht heraus­ziehen, weil das Wasser eben schon zu Ost-Berlin gehörte. Anders als bei Flucht­ver­su­chen waren die Grenz­boote bei solchen Unfällen nicht sofort zur Stelle, sondern erst, als es zu spät war. Warum trotzdem nie jemand den Mut hatte, die zwischen 5 und 8 Jahre alten Kids aus dem Wasser zu ziehen, weiß man nicht.

  • Der 6‑jährige Andreas Senk ertrank am 13. September 1966, weil ihn ein anderes Kind ins Wasser geschubst hatte.
  • Der 8‑jährige Ceng­aver Katrancı stand am 30. Oktober 1972 gegen 13 Uhr zusammen mit einem Freund am Ufer und fütterte Vögel. Dabei verlor er das Gleich­ge­wicht und stürzte in die Spree. Die alar­mierte und recht­zeitig erschie­nene Feuer­wehr von West-Berlin durfte nicht eingreifen. Ein Boot der Ost-Berliner Feuer­wehr hielt sich in der Mitte des Flusses auf, durfte sich aber nicht ohne Geneh­mi­gung dem west­li­chen Ufer nähern.
  • Die Familie von Sieg­fried Kroboth war aus Ost-Berlin geflüchtet, nachdem seine Schwester dort ermordet und in die Spree geworfen worden war. Kurz nach seinem 5. Geburtstag fiel er am 14. Mai 1973 beim Spielen mit einem Freund in den Fluss, auch er konnte nicht mehr gerettet werden.
  • Der kleine Italiener Giuseppe Savoca (6 Jahre) fiel am 15. Juni 1974 an der selben Stelle ins Wasser, als er ein Spiel­zeug raus­fi­schen wollte, das ihm in den Fluss gefallen war.
  • Auf die gleiche Weise starb am 11. Mai 1975 auch Çetin Mert, dem an seinem 5. Geburtstag ein Ball in die Spree gerollt war. Die Trau­er­feier für ihn wurde zu einem Massen­pro­test gegen das DDR-Grenz­re­gime.

Erst danach wurde am Ufer eine Notruf­säule aufge­stellt, die den DDR-Grenz­sol­daten opti­sche und akus­ti­sche Signale gaben. Sie konnten daraufhin auf gleiche Weise eine Ausnah­me­ge­neh­mi­gung für Rettungs­maß­nahmen aus West-Berlin erteilen.