Jugendkrawall in Ost-Berlin

Zerstörter Eingang zu einem Kino, 1977

7. Oktober 1977

Am 28. Jahrestag der DDR gab es auf dem Alex­an­der­platz schwere Krawalle zwischen Jugend­li­chen und der Volks­po­lizei. Der Auslöser war, dass die Vopo ein Rock­kon­zert wegen eines Unfalls stürmte. Doch die Jugend­li­chen ließen sich das nicht gefallen, sie griffen ihrer­seits die verhasste Polizei an. Zu lange hatte sich der Frust aufge­staut, die Gänge­lung, die Bevor­mun­dung, die Kontrolle aller Lebens­be­reiche wurden abge­lehnt, Frei­räume sollten erkämpft werden. Schon in den Monaten vorher gab es Wohnungs­be­set­zungen durch Jugend­liche, beson­ders im Prenz­lauer Berg, in Fried­richs­hain und Lich­ten­berg. Dort, auf öffent­li­chen Plätzen und auf Konzerten entwi­ckelte sich eine neue Jugend­kultur, die mit der FDJ nichts mehr zu tun haben wollte.

Das wollte sich der auto­ri­täre Staat natür­lich nicht gefallen lassen und so wurden junge Menschen auf der Straße beson­ders oft kontrol­liert, ihre ille­galen Partys in besetzten Wohnungen geräumt. Wer nicht aus der Haupt­stadt kam, konnte sogar „Berlin­verbot“ erhalten.
Viele Jugend­liche hatten von dieser Repres­sion genug und so leis­teten Hunderte am 28. Repu­blik­ge­burtstag Wider­stand gegen die Vopo. Die Polizei zückte ihre Gummi­knüppel und schlug auf alle ein, die sie errei­chen konnten.

Es entwi­ckelte sich eine Stra­ßen­schlacht. Die jungen Bereit­schafts­po­li­zisten waren über­rascht und über­for­dert von der Aggres­si­vität, die ihnen entge­gen­schlugt. Das Ganze erhielt eine weitere, poli­ti­sche Dimen­sion, als die aufge­putschte Menge Sprech­chöre skan­diert: „Honecker raus, Bier­mann rein“, „Nieder mit der DDR“ – die Schlacht­ge­sänge kommen aus geübten Kehlen. Viele in der Menge auf dem Alex­an­der­platz sollen Anhänger des Fußball­klubs Union Berlin gewesen sein.

Plötz­lich schlug die ganze Erbit­te­rung der Ost-Berliner Jugend­li­chen durch. „All we are saying is give peace a chance“‚ wurde gesungen. In Sprech­chören wurde „Frei­heit, Frei­heit“ gefor­dert. „Russen raus, lasst Bier­mann rein“, hörte ich.
Die Poli­zei­ketten droschen erbar­mungslos zu. Die Massen fluteten zurück, dann flogen hagel­dicht Steine, und alles strömte wieder vor. Von den Balus­traden flogen Flaschen auf die Bullen. Sie trieben daraufhin die Leute oben weg. Als nur noch Bullen oben waren, schmissen die Leute von unten mit Steinen. Die großen Fens­ter­scheiben klirrten. Riesige Splitter segelten den Bullen um die Ohren.
Barri­kaden aus Cafe-Tischen, Stühlen, Müll­con­tai­nern und den großen stei­nernen Papier­körben wurden gebaut. Zwei­tau­send Jugend­liche gegen vier­hun­dert Poli­zisten.
Nach zwei Stunden Stra­ßen­schlacht gelang es den Bullen, verstärkt durch massiven Stasi-Einsatz, uns zu zerstreuen und einen Teil auf den vorderen Alex­an­der­platz abzu­drängen. Alles war abge­sperrt, man kam nicht mehr raus. Wieder stürmte die Poli­zei­kette vor. Ich kam nicht mehr weg und wurde von einem dröh­nenden Schlag auf den Kopf kurz ohnmächtig.

(Aus dem Bericht des damals 17-jährigen Karl Winkler)

Erst in den folgenden Tagen wurde das ganze Ausmaß bekannt. Zwei Volks­po­li­zisten und ein Schüler waren getötet worden, 200 Jugend­liche mussten im Kran­ken­haus behan­delt werden, viele von ihnen durch Polizei und Stasi verletzt. Die meisten Fest­ge­nom­menen kamen vor Gericht und wurden verur­teilt, zahl­reiche Jugend­liche mussten ins Gefängnis.
Der 7. Oktober 1977 war eines der Ereig­nisse, das junge DDR-Bürger weiter von ihrem Staat entfrem­deten. In den Jahren danach verla­gerte sich die Orga­ni­sie­rung von oppo­si­tio­nellen Jugend­li­chen in die Kirchen­ge­meinden.